Eloge auf ein Schlafgemach

Eines sonnigen Tages im Spätherbst schickte sich Herr N. nach langem Hadern an, eine Besserung seines Schlafgemaches anzustreben. Die vorhandene Einrichtung war ihm unbequem geworden, und sein weitsichtiger Blick erlaubte keine Fortexistenz unter solch suboptimalen Umständen. Entsprechend seines Gemüts hatte Herr N. bei der sorgfältigen Auswahl einer neuen Matratze vollständig auf ein traditionelles Probleliegen oder weitere, den zumeist unangenehmen Besuch öffentlicher Räume voraussetzenden Maßnahmen verzichtet. Mit stoischem Eigenmut schlug er auch eine fachkundige Beratung aus, mühte sich jedoch außerordentlich an umfassenden Recherchearbeiten betrefflich der Eigenheiten und Bedürfnisse einer modernen Schlafstätte ab. Nach monatelangem Zögern folgte er schließlich der Empfehlung eines von ihm äußerst geschätzten kritischen Magazins, in welchem das folglich auserwählte Modell als bestechend attraktiv in Preis und immerhin überdurchschnittlich in Leistung bezeichnet wurde. Da ein Prokurieren eben dieser Matratze nur postalisch veranlasst werden konnte, beschloss Herr N. die Unwägbarkeiten eines solchen Arrangements auf sich zu nehmen, telegraphierte die verlangte, von ihm als sehr entgegenkommend empfundene Summe, und bereitete sich auf eine unangenehme, unbestimmt lange Wartezeit bis zur erhofften Lieferung vor.

Herr N. hatte sich eine, vielen Bekanntschaften spartanisch erscheinende Existenz eingerichtet, die arm an störenden Verpflichtungen oder unpässlichen Ereignissen, jedoch reich an wohlgeordneter Gleichartigkeit war. Dem Frönen des täglichen Mittagsschlafes nach einem ausgiebigen, ihn häufig viele Stunden vollständig vereinnahmenden Frühstück sehr zugetan, bereitete Herr N. die unwägbare Terminierung der Zustellung innerhalb eines, von ihm als provokativ vage empfundenen Fensters von 48 Stunden einiges Kopfzerbrechen und manchen Unmut. Das Ausbleiben eines erlösenden Klingelns der Türschelle innerhalb der ersten 24 Stunden des vereinbarten Zeitraumes versetzte ihn dabei derartig in Aufregung, dass sich ein erholsamer Schlaf zur üblichen frühen Stunde partout nicht einstellen wollte. Man hatte ihn dabei nicht nur um die wertvollen Nachmittagsstunden eines unerwartet wohligen Tages gebracht, die Herr N. nun vollkommen unsinnig inmitten der von ihm selten verlassenen, jedoch oftmals als bedrängend empfundenen Wohnung zugebrachte. Ihn erwartete zusätzlich eine weitere Nacht auf der verhassten alten Matratze, welche ihm unangenehm und deutlich spürbar in den Rücken stach und seinem Nacken großes Unbehagen gebracht hatte. Zu allem Überfluss würde ihn am folgenden Tag zudem nichts als eine Wiederholung der stumpfen Warterei ob der ersehnten Zustellung erwarten.

Nachdem er sich viele Stunden mit düsteren Gedanken gequält hatte, fiel Herr N. in einen unruhigen Schlaf und erwachte zu unüblich früher Morgenstund mit rasendem Puls zum Schellen der Türglocke. Er hechtete kaum bekleidet die Treppen hinab, um bloß kein Opfer der häufig praktizierten Ungeduld der zustellenden Firma zu werden, und hatte für die ihn erwartende, Herrn N. schon oftmals als nachlässig und unorganisiert aufgefallene Bewohnerin der Nachbarswohnung, welche diesen freundlich um Einlass bat, nur einen vernichtenden Blick übrig. Derart gereizt verabschiedete er sich vollends von einem möglichen Gelingen der anstehenden Stunden und wurde auch alsbald von erschütternden Magenkrämpfen geplagt, zudem befürchtete er gar eine neuerliche Manifestation seiner Schwindsucht, welche ihn als Kind einige Male ereilt hatte und der er in ihrer traumatischen Magnifizenz tagtäglich darbte. Da die finale Stunde der erwarteten Lieferung zu Zeiten der von Herr N. hingebungsvoll praktizierten Mittagsruhe angesetzt worden war, erschien es ihm unmöglich den Tag ansprechendend strukturiert zu bestreiten und er erwägte gar kurzzeitig, die traditionelle morgendliche Nahrungsaufnahme auszusetzen. Somit auch der letzten verbleibenden Freude seiner Existenz beraubt, ward es Herrn N. gänzlich unmöglich geworden, die quälende Warterei nicht als barbarische Tortur zu empfinden; was seinem Unmut und auch einer baldigen Genesung seines Magens kaum zuträglich war. Er begann, zunehmend deliriös, rachsüchtige Gedanken gegenüber dem unmenschlichen Lieferdienst zu hegen, dessen fehlendes Entgegenkommen wohl nur als Zumutung empfunden werden konnte, sowie wider der niederen Verantwortlichen, welche eine derartige Organisation zu instituieren vermögen. Nach ausführlicher Deliberation verwarf er den Plan eines umfangreichen Beschwerdeschreibens, vor dem geistigen Auge bereits vollständig ausformuliert, und schickte sich an, im Falle eines Verstreichens der vereinbarten Frist von 48 Stunden ohne Zustellung der bestellten Matratze seine Unzufriedenheit telegraphisch und wortreich an die teuflische Firma zu übermitteln.

Als hätte ihn diese Kaskade ungeheuerlicher Ereignisse nicht genug verstört, sein Leiden wollte kein zeitiges Ende finden. Nicht nur war es ihm unmöglich gewesen, entsprechend seiner üblichen wohlgeordneten Abläufe, eine wohlige Mitte in Verdauungstätigkeit und Erholung zu finden. Die schlussendliche Lieferung erfolgte obendrein mit einer Verspätung von 37 Minuten über die gesetzte Frist hinaus, inmitten eines leidenschaftlich geführten erbosten Ferngesprächs mit einer höchst unangenehmen, Herrn N. jegliches Verständnis der misslichen Lage verweigernden Kontaktperson des Lieferdienstes, sodass er Anstalten machte, einer Annahme der endlich gelieferten Ware die Verweigerung auszusprechen. Zudem erschien es ihm, dass der Bote, welcher einige Mühe hatte, die schwere Matratze in eines der oberen Stockwerke, in welchem Herr N. seine Wohnung hatte, zu transportieren, eine gewisse Hingabe bei der Ausübung seiner Arbeit vermissen ließ. Geplagt von diversen Unannehmlichkeiten war es Herr N. dazu nicht möglich, den langersehnten triumphalen Moment in vollen Zügen genießen zu können. Letztlich erwartete ihn der finale zermarternde Schock. Man hatte ihm, sei es aus grenzenloser Inkompetenz oder schrecklicher Bosheit, eine leicht minderwertige, aus einem anderem Schaumstoff gefertigte, nicht dem vollen Preis entsprechende Variante des begehrten Stückes nächtlichen Glückes zugesandt.

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by
Nils Steinert